Baukultur Oberhaching
Baukultur Oberhaching Bewusst gestaltn, gut leben - weil jedes Haus unseren Ort prägt
Baukultur Oberhaching Bewusst gestalten, gut leben – weil jedes Haus unseren Ort prägt
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Warum braucht Oberhaching eine Ortsbausatzung?
Wer ein Haus baut, verändert seine Umwelt. Die gebaute Umwelt prägt das Bild eines Or- tes und beeinflusst, wie wohl sich die Menschen dort fühlen. Insofern ist Bauen nicht nur eine Frage der Ästhetik und des persönlichen Geschmacks, sondern auch etwas grundle- gend Soziales: Bauen wirkt sich immer auf die Gemeinschaft und das Zusammenleben aus. Wenn die Menschen eines Ortes miteinander bauen, schaffen sie die Basis für ein Gefühl, das sich Heimat nennt. Oberhaching will Heimat sein. Deshalb haben sich die Gemeindeverantwortlichen in der Vergangenheit immer wieder mit der Frage auseinandergesetzt, wie dieses „Miteinander bauen“ am besten gelingt. So entstand 1975 in Oberhaching erstmals eine örtliche Bauvorschrift, die 1995 über- arbeitet worden ist. Die zuletzt aktualisierten und seit 2019 geltenden Gestaltungs- leitlinien sollen dazu beitragen, dass der Ort mit seinem unverwechselbaren Charakter optisch erhalten und zugleich weiterentwickelt wird. Was die rechtlich fixierten Bauvor- schriften zur Ortsgestaltung im Einzelnen bedeuten, erklärt die hier vorliegende Bau- fibel anhand zahlreicher Beispiele. Die in diesem Zusammenhang abgebildeten Häuser veranschaulichen Inhalt und Ziel der aktuellen Bauvorschrift: Kein architektonischer Stillstand, sondern zeitgemäßes Bauen soll Oberhachings Ortsbild gestalten. Das heißt: Gebäude dürfen kreativ und modern sein – jedoch sollten deren Ideen dem Ort entsprin- gen. So verstanden entstehen durch die örtliche Bauvorschrift Häuser, die ähnlich, aber nicht gleich, vielfältig statt monoton sind. Damit in Oberhaching die Heimat auch weiterhin ein Zuhause hat!
Impressum Herausgeber: Gemeinde Oberhaching, Alpenstraße 11, 82041 Oberhaching Telefon: 089 613 77-0, E-Mail: info@oberhaching.de Text & Redaktion: Beate Spindler Grafik & Layout: Christoph Pittner (www.pittner-design.de) Zeichnungen & Beratung: Thurner Architekten
Fotos: Christoph Pittner, Peter von Felbert (S. 21, 49), Birgit Helbig (S. 50, 51), NABU/hH May (S. 51), iStockphoto/ Tramper2 (S. 51), iStockphoto/Denise Hasse (S. 60, 68), iStockphoto/U. J. Alexander (S. 60, 69) Druck: F&W / 01.2020 / 7.500
Erster Bürgermeister Stefan Schelle, Oberhaching 2020
5 Vorwort
Zeitgemäße Architektur – voralpenländisch inspiriert Das Wagnerhaus zeigt die für Oberhaching typischen Gebäude- merkmale: Sie bilden das Fundament für neue Häuser im Ort Das im 18. Jahrhundert errichtete Wagnerhaus am Hubertusplatz in Deisenhofen ist ein im oberbayerischen Voralpenland typischer Einfirsthof mit flach geneigtem Satteldach. Bemerkenswert ist die funktionale und nachhaltige Bauweise des Gebäudes. Die aus jahrhundertelangen Erfahrungen entwickelte Architektur basiert auf lokal verfügbaren Materialien und orientiert sich eng an den Lebensumständen der Men- schen sowie an den klimatischen Bedingungen. Der langgestreckte Baukörper vereint Wohnhaus, Stall und Scheune unter einem Dach. Als Baumaterialien dienten unter anderem Mauerziegel aus Laufzorn und Kalk aus Isarkiesel, vor allem aber Holz aus den großen Nadelwaldgebieten rund um Oberhaching. Die langen, gerade gewachsenen Stämme eigneten sich hervorragend für den Blockbau und als Material zur Dachein- deckung. Weil Nägel teuer waren, lagen die Holzschindeln meist lose, nur mit Steinen beschwert auf. Die flache Dachneigung verhinderte, dass die Schindeln abrutschten. Das Dach war als Pfettendach konstruiert, das weit ausladende Vordächer ermög- lichte. Darunter entstanden umlaufende Balkone: Sie boten Wetterschutz und zugleich Raum, um Wäsche und Ernte zu trocknen. Ein praktisches, gut durchdachtes Haus, das auch nach 300 Jahren noch funktioniert!
Wagnerhaus als Vorbild Ein längsgerichteter Baukörper und ein flach geneigtes, weit über- stehendes Satteldach prägen die Bauweise in Oberhaching noch immer.
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maßvoll
Offen und natürlich schön
Ein Haus, das Regen und Schnee standhält Am Wagnerhaus lässt sich gut ablesen, wie eng verwachsen Dach- und Hausformen mit Mensch und Land sind – und wie viel Sinn es macht, wenn zeitgemäße Architektur altbewährte Bauprinzipien aufgreift. Die Dach- form ist ein Beispiel dafür. Zum einen verhindert die flache Neigung, dass Schneemassen unkontrolliert abrutschen. Zum anderen sorgt das weit überstehende Dach für eine trockene und damit über Jahrhunderte in- takte Hauswand – ganz ohne Chemie! Denn Vordach und Balkon dienen als konstruktiver Holzschutz, sie halten wie eine Hutkrempe Regenwasser vom Gebäude ab. Bei starkem Sonnenschein wirkt der Überstand als zu- sätzliche Verschattung und verhindert so überhitzte Räume.
Jedes Haus lebt auch von seiner Umgebung: den Nebengebäuden, den umliegenden Hof- und Gartenflächen, der Einfriedung, der Vegetation. Deren Gestaltung beein- flusst die Wirkung des Straßenraums und letztlich des ganzen Ortes. Das Wagner- haus schafft eine freundliche, offene Atmosphäre – eine Be- reicherung für den Ort.
Weniger ist mehr Holz war einst der Roh- stoff für Häuser im Hachinger Tal. Heute ist die Auswahl an Bau- stoffen viel größer. Ein wilder Materialmix schadet allerdings dem Ortsbild.
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Eine Hausfamilie ... Der Bauplan des Lebens liegt in den Genen und die legen Eltern ihren Kindern mit in die Wiege. Ähnlich ist es mit den Häusern in unserem Ort. Sie haben sich nicht zufällig entwickelt. Sie zeigen bewährte Elemente, die eine Baugeneration an die nächste weitergegeben hat. So entstanden Häuser wie das Wagnerhaus: Das denk- malgeschützte Bauernhaus ist eines der letzten erhaltenen Gebäude seiner Art – ein Urahn der Oberhachinger Hausfamilie. An ihm erkennen wir die Wurzeln unseres architektonischen Ursprungs, an seinem Baukörper wollen wir uns auch in Zukunft orientieren.
... mit vielen Gesichtern Der Wunsch nach einem individuellen Haus lässt sich in den planerischen Details verwirklichen, wie die obigen Skizzen zeigen. Beide Gebäude entspringen derselben Hausfamilie: Sie ähneln sich in Dimension und Dachform. Unterschiede zeigen sie dagegen in der Gestaltung ihrer Fassaden: Die Anordnung und Größe der Fenster, aber auch das Material (links bestimmt Putz kombiniert mit Holzelementen das Äußere, rechts dominiert Holz das Erscheinungsbild) verleiht jedem Haus sein eige- nes Gesicht. Trotz ihrer Individualität entsprechen beide Gebäude der örtlichen Bau- vorschrift – sie sind darin verwurzelt und bereichern auf ihre Art das Ortsbild!
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Maßvoll Haus- und Dachformen abstimmen
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Offen und grün Freiflächen, Wege und Zufahrten gestalten
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Reduziert Materialien und Details im Blick behalten
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Verplant Unpassendes für Oberhaching erkennen
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1 Maßvoll Haus- und Dachformen abstimmen
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Auf gute Verhältnisse bedacht
Von der Hausform über die Dachneigung bis zur Höhe des Kniestocks: Die örtliche Bauvorschrift gibt viele Maße vor – weil bewährte Proportionen einen guten Gestaltungsrahmen schaffen Gebäude, die sich aufeinander beziehen, die Maß nehmen an der umge- benden Bebauung, fügen sich gut ins Ortsbild ein. Ein Haus dagegen, das seine Nachbarschaft durch Größe, Form oder Farbe in den Schatten zu stellen versucht, stört in der Regel die Harmonie. Deshalb legt die Ortsgestaltungssatzung viele Maße fest. Maße, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben und die in der regionalen Bautradition wurzeln. Maße, die in ihrer Summe den gestalterischen Grundkonsens dar- stellen, der wichtig ist für ein geordnetes und damit stimmiges Ortsbild. Bewusst fallen Sonderbauten wie Schulen, Kirchen oder Rathaus aus dem Gestaltungsrahmen heraus. Dadurch ist deren Bedeutung augenscheinlich.
Oberhachinger Formensprache
Häuser in Oberhaching zeichnen sich durch eine klare rechteckige Form aus. Sie sind geschlossen und ruhig gestaltet, das heißt ohne viele Vor- oder Rück- sprünge. Nebengebäude greifen die Proportionen des Hauptgebäudes auf.
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maßvoll
Dem Haus bewusst eine klare Form geben Die geschosshohe Holzverscha- lung und der umlaufende, frei auskragende Balkon betonen die horizontale Gliederung dieses Einfamilienhauses.
Die 1,4-Formel für gerichtete Baukörper Ein „gerichteter Baukörper“ ist richtungsweisend: Er lässt eine klare Richtung erkennen, nicht nur wenn man von oben aufs Gebäude schaut. In Oberhaching sind Häuser längs- gerichtet. Ihre Länge beträgt mindestens das 1,4-Fache der Gebäudebreite. Beispiel: Ein Haus, das 7,5 Meter breit ist, muss mindestens 10,5 Meter lang sein. Die Orientierung an der 1,4-Formel gewährleistet, dass Gebäude in ihren Grundproportionen gut zueinander passen.
≥ Negative Beispiele Seite 62/63 Nr. 1-4
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maßvoll
Die Gliederung im Detail betonen
Aufbauten nehmen Dachflächen ihre Ruhe Die Dachlandschaft hat großen Einfluss auf das Ortsbild. Sie ist bestimmt durch die Form und Neigung der Dächer sowie durch Art, Farbe und Material der Deckung. Charakteristisch für Oberhaching sind ruhige, flach geneigte Satteldächer mit über- wiegend ziegelroter Deckung. Für helle Wohnräume unterm Dach ist eine Belichtung über die Giebeldreiecke empfehlenswert. Sie erspart störende Gauben, die bei flacher Dachneigung ohnehin ungeeignet sind. Dacheinschnitte, wie sie für Dachterrassen oder Loggien erforderlich sind, führen zu einer äußerst unruhigen Dachlandschaft und sind deshalb nicht erlaubt.
Die Putzfassade hebt sich vom holzverschalten Giebeldreieck deutlich ab. Dadurch wird die wahrgenommene Höhe des Hauses reduziert und zugleich dessen liegender Charakter betont. Die Schiebeelemente vor dem Eingangsbereich lassen sich bis zur Gebäudeaußen- kante schließen – das kaschiert den Einschnitt im Baukörper.
≥ Negative Beispiele Seite 63 Nr. 5, 6
≥ Negative Beispiele Seite 64/65 Nr. 7, 8, 14
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maßvoll
Pfettendach in moderner Form Auf dem unteren Balken, der Fußpfette, liegen die Sparren direkt auf. Die klare, leicht anmuten- de Form der Balken wirkt alles andere als jodlerisch. Das Pfettendach – hier ohne Kniestock – schließt mit Ortgangziegeln an einem feinen, relativ schmalen Dachrand ab.
Alles in bester Ordnung
Individualität hat seinen Raum
Sind Solarkollektoren in geordneter Weise angebracht, fügen sie sich unauffällig in die ruhige Dachlandschaft des Ortes ein.
Trotz zahlreicher Vorgaben: Dach ist nicht gleich Dach! Ein attraktiver Blickfang sind dieser schmale Dach- rand und die sichtbare Konstruktion des Dach- überstands.
≥ Negative Beispiele Seite 64 Nr. 9, 10
≥ Negative Beispiele Seite 65 Nr. 11-13
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Groß, größer, Quergiebel
Quergiebel sind beliebt, weil sie hellen Wohnraum unterm Dach schaffen. Je größer das Haus ist, umso besser ordnet sich der Quergiebel als Gestal- tungselement unter – er führt dann auch nicht zum Richtungsverlust.
Quergiebel und Balkone: Proportionen im Blick behalten Quergiebel und Balkone zählen zu den Bauteilen, die auffallen. Doch was ins Auge sticht, wirkt oft störend. Daher ist gerade bei diesen Elementen auf eine entsprechende Ge- staltung und Einbindung zu achten. Was damit gemeint ist, zeigen die Beispiele oben: Die horizontale Leistenverschalung der Fassade wird jeweils am Balkon fortgeführt. Da- durch passt sich (links) der Quergiebel optisch dem Gebäude an, er ist eingebunden und ordnet sich unter. Haus und Quergiebel bilden auf diese Weise eine Einheit. Har- monisch mit der Fassade verschmolzen wirkt auch der frei auskragende Balkon (rechts). Diesen Eindruck verstärkt die Tatsache, dass der Balkon nicht übers Vordach hinausragt.
≥ Negative Beispiele ab Seite 65 Nr. 14, 21, 25, 27
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Die Gewichtung ist entscheidend Ein gelungenes Beispiel dafür, wie ein Anbau sich dem Hauptgebäude anpasst und es sinnvoll be- reichert: Der Erker betont den Eingang des Hauses, ordnet sich aber unter – die Traufe läuft ungestört durch, das Haus behält die Richtung.
Mit auskragenden Bauteilen Akzente setzen Der zurückgesetzte Eingang (oben) schafft ebenso wie der Erker (links) Raum vor der Haustür. Das erspart eine eigens angebrachte Eingangsüber- dachung und definiert zudem Räume.
Vorspringende Bauteile: eine Frage der Unterordnung Vorspringende Bauteile wie Erker oder Wintergarten zählen zu den dekorativen Ele- menten eines Gebäudes und dienen zu seiner optischen Gliederung. Dadurch beein- flussen sie, wie ein Haus wirkt: ruhig, geordnet, als eine Einheit – oder überfüllt, ohne klaren Bezug zum Baukörper. Wünschenswert für Oberhaching ist, dass sich Anbau- ten in Form und Größe deutlich unterordnen und die Gestaltungslinie des Haupt- gebäudes aufgreifen. Damit das Haus als stimmiges Ganzes wahrgenommen wird.
≥ Negative Beispiele ab Seite 63 Nr. 3, 16
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Nebengebäude einbinden: Das Kleine gehört zum Großen Im Idealfall greift ein Nebengebäude wie beispielsweise eine Garage die Formen- und Materialsprache des Hauptgebäudes auf: Je stärker sich die Baukörper in Maßstäblich- keit und Material ähneln, desto offensichtlicher ist deren Verbundenheit. Das obige Bei- spiel zeigt dies eindrücklich: Garagentor und Fensterläden – beides bewegliche Elemen- te zum Schließen – sind aus Holz und im selben Farbton gestrichen. Auch Dachdeckung und -form sind entsprechend abgestimmt. Die Garage leugnet ihre Zugehörigkeit nicht, zugleich ordnet sie sich dem Hauptgebäude als deutlich „größerem Bruder“ unter.
Zwei Gebäude, eine Einheit
Wie ein Nebengebäude durchdacht ans Haus an- geschlossen werden kann, zeigt dieses Beispiel: Das herausspringende Vordach verbindet die Baukörper miteinander und sorgt dafür, dass man auf trockenem Fuß zur Haustür gelangt. Trotz- dem drängt sich die Garage nicht in den Vordergrund.
≥ Negative Beispiele ab Seite 62 Nr. 2, 18, 19, 23
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Einfügen statt dominieren: Mit dem natürlichen Gelände bauen Häuser finden – ganz besonders in Hanglage – viel eher ihren Platz, wenn sie die Um- gebung möglichst wenig verändern. Wenn sie nicht über, sondern in der Landschaft stehen. Das heißt: Je fließender der Übergang zwischen Gebäude und Gelände ist, desto besser. Abböschungen, Abgrabungen oder Terrassierungen, also Eingriffe ins Gelände, unterbrechen diesen Fluss. Deshalb sind sie nur in Maßen erlaubt. Warum Oberhaching auf sichtbare Sockelabsätze verzichtet, hat denselben Hinter- grund: Nur wenn die Farbe des Außenputzes bis zur Geländeoberkante durchgestri- chen ist, geht das Gebäude harmonisch ins Gelände über.
Mit einem Hang zu individuellen Lösungen Nicht einfach eine ebene Plattform errichten und Haus drauf! Das Gebäude gewinnt an Individualität, wenn das Gelände in die Gestaltung wortwörtlich miteinfließt.
≥ Negative Beispiele Seite 67 Nr. 21
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2 Offen und grün Freiflächen, Wege und Zufahrten gestalten
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Den Nachbarn und die Natur im Blick Es sind die vielen Kleinigkeiten, die für Lebensqualität im Ort sorgen. Wie zum Beispiel die Gestaltung der Frei- flächen, Wege und Zufahrten Raum ist knapp in Oberhaching. Doch jeder Einzelne kann dazu beitragen, dass mehr Raum zum Leben entsteht. Wie? Ganz einfach: Häuser sollen erlebbar sein. Wer seinen privaten Bereich zur Straße hin öffnet, den Garten und den Weg zum Haus hin so gestaltet, dass Kommunikation stattfinden kann, schafft automatisch Lebensraum. Raum für eine Gemeinschaft, in der sich die Men- schen gegenseitig wahrnehmen. In der sie sich nicht nur wohl, sondern auch sicher fühlen. Weil sie in (Blick-) Kontakt zueinander stehen – und sei es nur durch das Licht der Wohnzimmerlampe, das man bei Dunkelheit von draußen sieht. Das hat nichts mit Voyeurismus zu tun, denn private Rückzugsmöglich- keiten sind zweifelsohne wichtig! Wer bewusst Begegnungsräume zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit schafft, muss darauf auch nicht verzichten.
Vom öffentlichen in den privaten Raum Vorgarten und Eingangs- bereich prägen mindestens ebenso wie die Hausfassade die Atmosphäre des Stra- ßenraums. Ein gestalteter Übergang zwischen Öffent- lichem und Privatem legt den Grundstein für eine gute Nachbarschaft und schafft zudem Orientierung.
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Zonierung der Privatheit
Wer sein Haus zur Straße hin durch eine abweisende Gren- ze markiert, signalisiert: Wir wollen mit niemandem etwas zu tun haben. Wer dagegen Übergänge schafft, lädt dazu ein, miteinander in Kontakt zu treten. Die Privatheit bleibt durch unterschiedlich gestal- tete Bereiche gewahrt: (1) öffentlich, (2) halböffentlich, (3) halbprivat, (4) privat
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Bereiche gestalten Unterschiedliche Elemente wie Pflaster- beläge, Bepflanzung oder Stufen bilden Zonen, die schrittweise vom öffentlichen in den privaten Bereich führen. Auch auf kleinem Raum ist so ein gestalteter Übergang möglich, wie
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Gehsteig
das Beispiel auf der rechten Seite zeigt.
Straße
Vom (öffentlichen) Gehsteig aus leiten die blühenden Stauden den (halböffentlichen) Weg zur Haustür. Der (private) Eingangsbereich wird über eine Stufe betreten. Die höher gewachsene Bepflanzung unmittelbar davor betont den Übergang: Sie engt den (halbprivaten) Raum optisch ein.
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Einfahrten gestalten: Pflanzstreifen als natürliche Abgrenzung Treffen Zufahrten an einer Grundstücksgrenze zusammen, sorgt ein Pflanzstreifen für eine natürliche Abgrenzung. Idealerweise ist der Streifen so gestaltet, dass er nicht als Hindernis, sondern als verbindendes Element wahrgenommen wird. Dies gelingt am besten durch eine abwechslungsreiche Bepflanzung. Auf diese Weise ent- stehen zugleich Übergangszonen, wie das Beispiel oben veranschaulicht: Der weit ausladende Baum sorgt für erlebbaren Raum, der den Übergang vom öffentlichen zum privaten Bereich mitstrukturiert. Die Zonierung ist in diesem Beispiel auch durch die verschiedenen Pflasterbeläge sehr gut gelungen.
Orientierung durch Zonierung Klare Abfolge: Durchs Gartentürchen (links) gelangt man vom halb- öffentlichen zum halb- privaten und schließlich unterm Vordach zum privaten Bereich. Zur Gestaltung des Übergangs kann auch ein unauffällig integriertes Mülltonnen- häuschen (oben) dienen.
≥ Negative Beispiele ab Seite 67 Nr. 22, 25, 30
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offen und grün
Möglichst durchlässiges Pflaster für Zufahrten undWege Ob Natur- oder Betonstein, Bachkiesel oder Splitt: Als Belag für Wege und Zufahrten ist Vieles möglich. Entscheidend sind der indivi- duelle Geschmack und der Stil des Hauses. Mit Ausnahme von Gehstreifen müssen die Beläge allerdings wasserdurchlässig sein, damit das Regenwasser vor Ort versickert.
Räume schaffen durch Nebengebäude Der Carport steht versetzt zum Haus. Dadurch entsteht ein geschützter privater Garten- bereich – zugleich wird eine tunnelartige Eingangssitua- tion vermieden. Seine offene, schlichte Holzkonstruktion wirkt angenehm leicht. Jeder Bereich hat hier offensichtlich seine Funktion: Bis zum Car- port wird gefahren, danach geht‘s zu Fuß weiter.
≥ Negative Beispiele Seite 67 Nr. 20, 22
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Einfriedung: Vor Blicken geschützt, aber offen für Begegnungen Jeder braucht private Rückzugsmöglichkeiten, doch „grüne Mauern“ sind dafür nicht nötig. Eine lebendige Alternative zur akkurat geschnittenen Hecke ist die Hinter- pflanzung der Einfriedung in Form von locker gruppierten Sträuchern und Laub- gehölzen. Im Idealfall bietet eine frei wachsende Hecke aus heimischen Wild- oder Blütensträuchern sowohl Sichtschutz als auch bewusst offen gehaltene Bereiche, um zum Beispiel miteinander ins Gespräch zu kommen. Heimische Wildstauden sind übrigens robuster als Zuchtformen und benötigen weniger Pflege. Vor allem aber sind sie ein wichtiger Baustein für den Artenschutz.
≥ Negative Beispiele ab Seite 67 Nr. 22, 24, 26, 27
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Die Natur einfach mal wachsen lassen Wildes Grün? Gerne! Denn es bedeutet weniger Aufwand, dafür mehr Leben. Im naturnahen Garten finden viele Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause. Auch Kleintiere gehen hier gerne ein und aus. Durchlaufende Mauern würden sie daran hindern.
≥ Negative Beispiele ab Seite 67 Nr. 19, 22, 28
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Alte Bäume erhalten, neue Bäume pflanzen
Früher hatten Häuser einen „Hausbaum“. Weil die Menschen die Vorteile des grünen Mitbe- wohners zu schätzen wussten: Er spendet im Sommer wertvollen Schatten, schenkt mitun- ter wohlschmeckende Früchte, bietet sowohl Kletterspaß als auch Nistplätze, lässt den Wechsel der Jahreszeiten intensiv erleben und ist ganz einfach: ortsbildprägend! Alte Bäume sollten deshalb wie Schätze behandelt und möglichst integriert statt gerodet werden.
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Frisches Obst direkt aus demGarten Im Frühjahr sind seine prächtigen weißen Blüten eine Zierde für jeden Garten, im Herbst erfreut er durch seine Früchte: der Apfelbaum.
Bäume brauchen Platz
Es gibt schnell und lang- sam wachsende Bäume. Aber auch wenn manche Bäume nur wenige Zenti- meter pro Jahr wachsen: Größer werden sie alle! Wer einen neuen Baum pflanzt, sollte dies bei der Standortwahl unbedingt berücksichtigen.
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offen und grün
„Weniger Ordnung bedeutet mehr Leben!“ Birgit Helbig, Naturgartenplanerin Selbst auf engstem Raum lassen sich viele Lebensräume für Insekten, Amphibien und Vögel gestalten. Naturgartenprofis wie Birgit Helbig stehen auf www.naturgarten.org mit Rat und Tat zur Seite. Weitere Gartentipps finden Sie auch beim Bund Naturschutz: www.nabu.de/gartenvielfalt
Heimische Pflanzen für mehr Artenvielfalt Artenretter? Klingt nach Heldentat. In Wahrheit kann jeder ein Paradies für Wild- bienen, Schmetterlinge und Vögel schaffen. Worauf es dabei ankommt, weiß die Naturgartenplanerin Birgit Helbig: „Heimische Pflanzen und abwechslungsreiche Strukturen sind die wichtigsten Magnete im Garten.“ Warum Exoten und züchte- risch veränderte Zierpflanzen bei den Tieren kaum punkten? Sie machen nicht satt! „Die Forsythie beispielsweise produziert keine Pollen. Ihre Blüten sind nutzlos“, er- klärt die Expertin, die auch Thujen und Kirschlorbeer als „ökologische Nullnummern“ bezeichnet. Ihre Tipps für einen Garten, in dem sich Insekten, Vögel, Igel und Eidech- sen gleichermaßen wohlfühlen:
Weniger Nährstoffe, mehr Blüten Ein magerer Unterboden (z.B. Baustellenaushub) ist ideal für Blühpflanzen. Des- halb aufs Düngen komplett verzichten und vor der Aus- saat eventuell noch Sand in den Boden einarbeiten.
Samen im Fachhandel kaufen Blühmischungen vom Wildpflanzenzüchter sind speziell auf die Region abgestimmt. Das sorgt für besseren Wuchs! Samen aus dem Baumarkt sind selten heimisch.
Ein Haufen Holz und Steine
Unübertroffen: Heimischer Weißdorn
Empfehlenswerte Sträucher
Ungefüllte Blüten reich an Nahrung
Abgeschnittene Äste und Baum- wurzeln einfach mal liegen lassen: Viele Insekten und Kleintiere finden in totem Holz Nahrung und Unterschlupf. Eidechsen lieben steinige, sonnenwarme Verstecke.
Sein dorniges Geäst ist beliebter Nistplatz, seine Blüten und Beeren ernähren an die 60 Insekten- und über 60 Vogelarten. Zum Ver- gleich: Der züchterisch veränderte Weißdorn lockt nur noch etwa fünf Vogelarten an.
Für eine abwechslungsreiche Wildhecke eignen sich besonders Eberesche, Wei- de, Kornelkirsche, Holunder, Berberitze, Schlehe und Liguster. Am besten den botanischen Namen beim Kauf nennen, damit man die Wildstaudenart und kein kultiviertes Gewächs bekommt.
Damit es möglichst von März bis Ok- tober blüht, braucht‘s viele verschie- dene Blühpflanzen, z.B.: Natternkopf, Färberkamille, Wildnelken, Wilde Malve, Salweide, Seifenkraut, Königs- kerze, Hornklee, Wiesenschaumkraut oder Wilde Möhre.
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3 Reduziert Materialien und Details im Blick behalten
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maßvoll
Verkleidet, aber nicht maskiert Diese Fassade be- schränkt sich auf wenige Materialien: Holz und Metall. Interessante Kontraste entstehen durch die Kombination aus grau lasiertem und natürlich belassenem Holz sowie durch die schmalen Schattenfugen der Schalung.
Die richtigen Bausteine fürs Haus kombinieren Bauherren müssen viele Entscheidungen treffen. Wenn es jedoch um die Baustoffauswahl und Detail- planung geht, gilt der Grundsatz: Weniger ist mehr! In einer Hinsicht hatten es die Menschen früher wirklich einfacher: Sie bauten ihre Häuser aus den Materialien, die ihnen regional zur Verfügung standen. Und sie bauten ihre Häuser so, wie sie es konnten und kannten. Heute gibt es eine Fülle an architektonischen Anregungen durch internationale Vorbilder und eine riesige Auswahl an Baustoffen, die keine Wünsche mehr offenlässt. Die Folge: ein oft unpassender Materialmix, durch den Gebäude sehr hetero- gen und damit vor allem unruhig wirken. Wer sich auf wenige unterschiedliche, ortstypische Materialien und Details beschränkt, hat am Ende mehr: ein in sich stimmiges Haus, das durch wohl- gesetzte Akzente überzeugt und sich ins Ortsbild einfügt. In Oberhaching haben sich einige wenige Baustoffe und Farben durchgesetzt: fürs Dach naturrote Ziegel, für die Außenwände weiß gestrichener Putz oder naturbelassenes Holz, das in Würde ergraut. Alternativ dazu: gestrichene Holz- flächen in Grau- und Brauntönen, die der natürlichen Patina entsprechen und die Holzstruktur erkennen lassen. Hinzu kommen Elemente aus verzinktem Blech, Kupfer oder Edelstahl zum Beispiel für Dachrinne oder Fensterblech.
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Baukultur Oberhaching
reduziert
Die filigrane Konstruktion des umlaufenden Balkongeländers fällt als eigenständiges Fassaden- element auf. Da sie wie die Holzschalung horizontal ausgerichtet ist, wirkt sie keinesfalls störend – das Gesamtbild ist stimmig.
Putz und Holz in Kombination
Bündige Holzverkleidungen (oben) wirken in der Fläche ruhig und geschlossen, aber nicht abweisend. Eine rein verputzte Fassade (links) erhält durch Struktur und Körnung ihren Reiz. Putz und Holz lassen sich auf vielfältige Weise miteinander kombinieren.
≥ Negative Beispiele Seite 66/67 Nr. 16-19
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Baukultur Oberhaching
reduziert
Traditionell kombiniert
Unten Stein, oben Holz: eine ganz typische Bauart im oberbayerischen Vor- alpenland, die nach wie vor beliebt ist. Bemerkenswert an diesem Haus: Auch die Fensterbank ist aus Holz – es muss nicht immer Metall sein.
Ein Material mit vielen Gesichtern
Holz bietet allein durch die Behandlung und Bearbeitung der Oberflächen eine Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten, wie dieses Haus zeigt: Die lasierte Fassade erweckt den Eindruck eines natürlich gealterten Holzes. Von der silbergrauen Patina hebt sich die naturbelassene Haustür deutlich ab: So erhält der Eingang als gestalterisches Element der Fassade zurecht Aufmerksamkeit.
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Baukultur Oberhaching
reduziert
4 Verplant Unpassendes für Oberhaching erkennen
maßvoll 61
Ist das wirklich nötig? Nur mal angenommen, es gäbe in Oberhaching keine örtliche Bauvorschrift ...
... dann könnten die folgenden Häuser in der Gemeinde stehen! Manche von ihnen sind zweifelsohne ansprechend gestaltet, andere wirken wie Bausünden. Was an ihnen nicht passt? Manchmal sind es Details. Oft aber ist es das Zu- sammenwirken verschiedener Faktoren, die einer überzeugenden Gestaltung entgegenstehen – der Gesamteindruck ist nicht stimmig. Erkennen Sie die orts- untypischen Gebäudemerkmale? Warum passen diese Häuser nicht in unseren Ort? Die Antworten finden Sie in Stichpunkten unterm Bild.
3 Ungerichteter Baukörper , Risalit und dunkler Eingangsvorbau dominieren, kein Satteldach
4 Unproportionierter Baukörper: ungerichtet und vor allem viel zu hoch
5 Mangelhafte Gestaltung: willkürliche Fassa- denöffnungen, uneinheitliche Balkonkonstruktion
1 Überdimensioierte Gauben dominieren den Baukörper, Dachüberstand fehlt, schwarze Fassade
2 Keine Hierarchie erkennbar (was ist Haupt-, was Nebengebäude?), Pultdach, Fassadenfarbe
6 Fehlender Dachüberstand , Mauerscheiben als Gestaltelement dominieren, monumentale Wirkung
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Baukultur Oberhaching
verplant
11 Fehlender Dachüberstand , unproportioniert aufgrund Gebäudehöhe
12 Mansarddach entspricht nicht der Oberhachinger Dachlandschaft
7 Gauben übermäßig groß , dominieren Gesamt- bild, Holzverkleidung wirkt willkürlich
8 Unruhige Dachfläche: Gauben unterbrechen die Trauflinie, wodurch die Dacheinheit zerstört ist
14 Konkurrierende Gestaltung: Unterschiede in Farbe, Quergiebel, Fenster, Eingang zerstören Einheit
13 Dominante Gaube: 3-geschossiger Bau sollte als 2-geschossig kaschiert werden
9 Unruhige Dachfläche durch ungeordnete Solarkollektoren und Dachgauben
10 Aufgeständerte Solarkollektoren , ohne er- kennbare Ordnung montiert
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Baukultur Oberhaching
verplant
19 Mangelhafte Einbindung des Nebengebäu- des, blaue Fassade, Holzfarbe deckend, Gabionen
20 Abweisende Eingangssituation: Gabionen, wandartige Thujen; Dachdeckung dunkel glasiert
15 Dachform und -farbe , fragwürdiger Anschluss des Carports, ungerichteter Baukörper
16 Fehlende Hinterpflanzung , Eingangsüberda- chung zerschneidet Trauflinie, Farbe Holz / Fassade
18 Fehlende Ordnung: Was ist im Vordergrund, was ist Haupt- / Nebengebäude? Materialmix!
22 Abschottung: fehlende Übergänge und Sicht- verbindungen (soziale Kontrolle), Dach / Tor dunkel
17 Fehlender Übergang von Öffentlich zu Privat, Fassadenfarbe, Walmdach, ungerichteter Baukörper
21 Rücksichtslose Eingriffe ins Gelände: geschoßhohe Abgrabung und Terrassierung
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Baukultur Oberhaching
verplant
27 Abschottung: blickdichte Mauer aus wildem Materialmix, dominanter Risalit
28 Viele Steine, wenig Leben: Vorgärten sind gärtnerisch zu gestalten und zu begrünen.
23 Ungerichteter Baukörper , Garage unverhält- nismäßig breit, Dominanz auch durch Torfarbe; Dach
24 Unzulässige Einfriedung: Gabionen sind in Oberhaching nicht erlaubt
26 Unzulässige Hinterpflanung (wandartige Thujenhecke) sowie Einfriedung aus Mauerwerk
29 Fehlende Gartengestaltung (Hinterpflan- zung), Sichtschutz an der Terrasse, Dachneigung
30 Durchlaufende Sockelmauer , fehlende Hinterpflanzung, insgesamt wehrhafter Eindruck
25 Fehlender Übergang , dominanter Quergiebel, weiße Dachuntersicht, blickdichtes Hoftor
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